Einladung zu einem musikalischen Abenteuer

Im Rahmen der 66. Geistlichen Abendmusik und zum Abschluss des dreitägigen Improvisationsseminars für Organisten spielte Professor Wolfgang Seifen aus Berlin ein faszinierendes Orgelkonzert an der Jehmlich-Orgel in der Kirche Leipzig-Mitte.

„Er wisse genauso wenig wie das Publikum“, betonte er in seinen einleitenden Worten, „was sogleich für Musik erklingen würde. Er freue sich aber, dass die Zuhörer ihn bei diesem Abenteuer begleiten.“

Zu Beginn stand eine Passacaglia mit Einleitung und Fuge auf dem Programm. Dabei handelt es sich um eine Folge von Variationen eines achttaktigen Themas. Nach einer fulminanten Einleitung erklang leise und in tiefen Klängen das Passacaglia-Thema zunächst alleine im Pedal. Die Fuge führte Seifen als Doppelfuge aus. Sie besteht aus zwei Themen, die zunächst jedes für sich und zum Ende übereinander und gemeinsam erklingen – ein Stück von wahrer Gehirn- und Fingerakrobatik, die Seifen hörbar liebt und meisterlich beherrscht.

Es folgte eine Triosonate im barocken Stil in drei Sätzen: schnell, langsam und nochmals schnell. Triosonate bedeutet in diesem Fall, dass drei gleichwertige Stimmen miteinander Musik machen, ähnlich wie zwei Geigen mit einem Cello. Seifen benutzt charmante, eingängige Themen und setzt damit kleine amüsante Punkte bei den Zuhörern.

Die nachfolgende Meditation über den 131. Psalm brachte die Zuhörer in freie Harmonien. In schwebenden, nicht aufgelösten, impressionistischen Klängen zeigte Seifen dem Zuhörer Farben in seiner Betrachtung des Psalms. Erst gegen Ende, wo es heißt: „Meine Seele ist stille in dir“ lösten sich die Klänge langsam auf.

"Tryptichon" oder besser „Tryptique symphonique“ im symphonischen Stil wusste Professor Seifen ebenfalls begeisternd zu gestalten. Drei gregorianische Choräle bildeten das Grundgerüst für dieses dreisätzige Stück. Seinen Kursteilnehmer offenbarte er: „Wenn Sie diese Klänge hören, wissen Sie, wie es in mir aussieht.“ Es ist sein tiefer christlicher Glaube und seine völlige Offenbarung, die die gregorianischen Themen in ausdrucksstarke, virtuose Klänge verwandeln. So etwas hört man selten – und das zurecht. Professor Seifen beherrscht das Instrument vom höchsten bis zum tiefsten Ton und verschmilzt mit ihm. In schnellen Läufen und Akkordwechseln - Effekte, die man sonst nur aus orchestraler Musik kennt - aber auch zärtliche Klänge bildeten das Material, mit denen er dieses aufeinander aufbauende Werk gestaltete.

Die Improvisation ist eng mit der Orgel und dem Kirchendienst verbunden. Organisten müssen flexibel auf das Geschehen im Gottesdienst reagieren können. Um Choräle und Gemeindebegleitung immer interessant und textbezogen spielen zu können, müssen Liedharmonisierungen stets neu und frei erfunden werden. Ebenso sollen die Choralvorspiele die Gemeinde sowohl im Tempo als auch Charakter auf das nächste Lied vorbereiten. Die Fülle an Möglichkeiten zeigte Wolfgang Seifen im gemeinsamen Lied „Großer Gott, wir loben dich“. Nach einem Choralvorspiel mit Melodie im Alt zeigte der Improvisator anhand der drei gesungen Strophen wie abwechslungsreich Gemeindebegleitung gestaltet werden kann: interessante Harmonien, Melodie im Bass, Zwischenspiel und orchestrale Einwürfe.

So technisch einwandfrei, atemberaubend im Klang und kreativ in der musikalischen Ideenfindung er auch ist, spürte man doch ein erfreutes Aufatmen der Zuhörer, als Professor Seifen in seiner Zugabe mit der bekannten Melodie „Der Mond ist aufgegangen“ den Abend beschloss.